Eine Geschichte über nicht Absehbares, Beharren, Vorsicht und Liebe.
12. November…
Ein kalter, windiger und mit Schneefall versehener Tag. Ein junges Paar war am frühen, aber schon finsteren Abend auf der Fahrt zum Flughafen in Klagenfurt, um den Bruder der jungen Frau abzuholen. Die Straßen waren stark befahren. Der 23-jährige Lenker fuhr äußerst defensiv, da das Schneegestöber immer mehr zunahm. Die Flocken wurden mit einiger Wucht gegen die Windschutzscheibe, aber auch an die Seitenfenster geschleudert. Nicht nur der Fahrtwind trug dazu bei, sondern auch die Windböen des Herbstes.
Die Kommunikation war auf Grund der Konzentration des Fahrers ein Minimum. Die junge Frau, 19 Jahre alt, saß aufmerksam und jede Störung vermeidend neben ihm auf dem Passagiersitz. Der entgegenkommende Verkehr blendete zum Teil sehr. Die Straße führte leicht abwärts, war aber glücklicherweise nicht rutschig. Der Fahrer fuhr sein Fahrzeug außerdem immer bestens ausgerüstet.
Der Aufprall erschien weniger hart als man im Nachhinein annehmen hätte müssen. Der größte zerstörte Teil des trotzdem zum Totalschaden gelangten Autos war rechts durch das Fenster des Beifahrersitzes.
Mitten im Schneetreiben plötzlich Stillstand.
Der junge Mann starrte eine unendliche Sekunde ins Leere, ins Unfassbare, Unabsehbare. Dann stürmte er aus dem Fahrzeug auf die andere Seite. Riss die Tür auf. Die junge Frau war extrem blutig im Gesicht und stöhnte wiederholt:
„Mein Gesicht ist so kalt!“
Dies war die letzte Erinnerung des Mädchens an diesem Tag.
Ihr Freund brachte sie, da sie selbst gehen wollte und konnte, in ein unmittelbar gelegenes Gasthaus. Von dort wurde ein Arzt gerufen, der schnell vor Ort war.
Was war passiert?
Ein komplett unbeleuchteter Traktor, der mit Holz beladen war, das ebenso nicht gekennzeichnet über die Ladefläche des Anhängers hinaus beladen war, war wie aus dem Nichts stehen geblieben, um abzubiegen. Im Schneegestöber war das landwirtschaftliche Fahrzeug wie eine Wand, und das Auto des Pärchens war zwar langsam, aber dennoch mehr oder weniger ungebremst in die herausragenden Holzpfähle geprallt.
Ein Holzpfahl hatte die Windschutzscheibe durchschlagen und genau in Gesichtshöhe die Beifahrerin erwischt. Ihr Gesicht war von den Glassplittern aufgeschnitten, vor allem die linke Seite.
Der Arzt machte einige Tests. Sehtest. Geh- und Gleichgewichtstest. Sprachtest. Schmerzabklärung. Die Diagnose fiel mit ‚nichts Schlimmes‘ aus und Ruhe halten wegen dem Schock.
Auf Grund des Geschehnisses bestand der junge Mann darauf, dass seine Freundin ins Spital gebracht wurde. Die Rettung wurde gerufen und sie wurde ins Krankenhaus geführt. Er selbst konnte das schwer beschädigte Auto nicht mehr fahren und machte sich per Anhalter eben dorthin. Mitfahren konnte er nicht, da er vorweg die Unfallsituation mit dem Unfallgegner und der Polizei klären musste.
Die nächste Erinnerung der jungen Frau waren starke Kopfschmerzen. Sie fand sich in einem Spitalsbett wieder und konnte sich unmittelbar an nichts erinnern. Die Tür Ihres Zimmers stand offen. Sie hörte Stimmen vom Gang – sie erkannte ihre Eltern und einen Arzt.
Sie konnte hören, wie jemand sagte, „Wenn es nur eine Gehirnerschütterung wäre, …“. Sie ließ das Nachdenken sein und schloss die Augen. Schließlich kamen die letzterwähnten ins Zimmer und sie wurde über ihren Zustand aufgeklärt.
Schädelbasisbruch. Nasenbeinbruch. Jochbeinbruch. Schnitte über das ganze Gesicht, hauptsächlich links. Leicht verletzte Beine. Die junge Frau selbst stellte Doppelbilder fest, wenn sie die Augen öffnete, sie hatte keinen Geruchsinn und ihre Zähne schmerzten. Flüssigkeitsaustritt aus der Nase.
Spitalsaufenthalt vom 12. November bis 21. Dezember mit Ruhestellung und medikamentöser Behandlung. Keine Operation.
Im Jänner des Folgejahres bestanden nach wie vor Doppelbilder. Der Geruchsinn war nicht zurückgekommen und der Abgang von Flüssigkeit trat erneut ein. Es erfolgte eine Überweisung auf die Neurochirurgie des LKH Graz zu Prof. Dr. H., der sich der jungen Frau annahm. Erneut medikamentöse Behandlung in stationärer Behandlung gegen den Flüssigkeitsverlust.
Das Unfallopfer, immer wieder begleitet von ihrem Freund, dem keine Schuld an dem Unfall zugesprochen wurde, kämpfte weiterhin mit Schmerzen und Doppelbildern. Das zugesprochene Schmerzensgeld konnte die Situation nicht annähernd aufwiegen.
Schließlich wurde Ende März der linken Schläfe ein Muskel entnommen zur Abdichtung der inneren Kopfverletzungen, die den Flüssigkeitsaustritt verhindern soll. Danach zum Auskurieren die Übersendung in die Reha-Klinik Stolzalpe.
Schon nach kurzem Aufenthalt fühlte und hörte die Verunfallte, gluckartige Geräusche in der Stirnhöhle. Ein weiteres Mal wird die junge Frau ins LKH Graz verlegt. Entscheid: weitere Operation durch hinzugezogenen Experten. Bei der zweiten Operation wird dem Oberschenkel der Frau ein Muskel entfernt, um diesen in den Kopfbereich einsetzen zu können. Sehr tief unter dem Bereich der Stirnhöhle wird ein Loch in der ‚Siebbeinzelle‘ entdeckt, das nun endlich geschlossen und verdichtet werden konnte.
Ein Martyrium körperlicher und seelischer Natur, nicht nur für sie, sondern auch für die Angehörigen. Dass die Frau noch so jung war, half dem Heilungsprozess. Die Doppelbilder sind bis heute beim Zurückschauen geblieben, der Geruchsinn kam nie zurück und die Zahnprobleme sind bis zum heutigen Tage nicht ausgestanden.
Im Mai desselben Jahres verlobten sich die beiden Verunglückten. Im September heirateten sie.
Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich diese Geschichte aus den Jahren 1966 und 1967 festhalten soll. Sie ist authentisch und berührt mich sehr. Ihre Ereignisse lässt mich immer wieder Vieles abwägen, das ich zu entscheiden habe. Sie veranlasst mich im Straßenverkehr sehr vorrausschauend zu fahren, und mir trotzdem immer wieder bewusst zu machen, wie schnell sich das Leben ändern kann – auch ohne eigenes Verschulden.
Diese November-Geschichte soll Menschen, die Leid durchleben, Mut machen, aber auch andere bestärken, mehr auf den nächsten zu achten und die Konsequenzen des eigenen Handelns oder Nichthandelns, wie Fahrzeugbeleuchtung gerade jetzt in dieser gefährlichen Zeit, richtig einzuschätzen. Nicht jeder Unfall dieser Art geht doch noch gut aus.
Meine Eltern hat dieser Unfall sehr zusammengeschweißt,
und sie waren mehr als fünfzig Jahre bis zum Tod meines Vaters glücklich verheiratet.
… it was a very grey November day.
A story about the Unforeseeable, Perseverance, Caution, and Love.
November 12th…
A cold, windy, snowy day. A young couple was on their way to the airport in Klagenfurt in the early and already dark, evening to pick up the young woman’s brother. The roads were busy. The 23-year-old driver was driving extremely defensively as the snow flurries increased. The flakes were thrown with some force against the windshield, but also against the side windows. Not only the airstream added to this, also the gusts of Fall.
Communication was a minimum due to the driver’s concentration. The young woman, 19-years-old, sat attentively and avoiding disturbing him in the passenger seat. The oncoming traffic was sometimes quite dazzling. The road was slightly downhill, luckily not slippery. The driver always drove his vehicle well equipped at all times.
The impact appeared less severe than one would have had to assume in retrospect. Most of the car’s damage, which was nevertheless totaled, was through the passenger-seat window on the right.
Suddenly a standstill in the middle of the snowstorm.
The young man stared for an infinite second into space, into the incomprehensible, the incalculable. Then he stormed out of the vehicle to the other side. Threw open the door. The young woman was extremely bloody in the face and moaned repeatedly:
“My face is so cold!”
This was the girl’s last memory of that day.
Her boyfriend brought her to a nearby inn because she wanted to and could walk herself. A doctor was called who showed up quickly.
What had happened?
A completely unlit tractor that was loaded with wood, which was as unmarked as the vehicle itself and loaded well past the freight area of the trailer, had stopped out of nowhere to turn. In the snowstorm the rural vehicle was like a wall, the couple’s car was slow, but still more or less unrestrained, crashing into the protruding wooden posts.
A wooden stake had broken through the windshield and hit the passenger exactly at face level. Her face was cut open by the chips of glass, especially her left side.
The doctor did some tests. Eye test. Walking and balance test. Language test. Clarification of pain. The diagnosis was ‘nothing bad’ and to keep calm in consequence of the shock.
Because of the impact of the incident, the young man insisted that his girlfriend be taken to the hospital. An ambulance was called, and she was taken there. He could no longer drive the car because of its damage and followed by hitchhiking as he could not take the ride on the ambulance because he had to clarify the situation first with the other party involved in the accident and the police.
The young woman’s next memory was a severe headache. She found herself in a hospital bed and could not remember anything. The door of your room was open. She heard voices from the corridor – she recognized her parents and a doctor.
She could hear someone say, “If only it was just a concussion …“. She stopped thinking and closed her eyes. Finally, the group came into the room, and she was informed of her condition.
Skull base fracture. Nasal fracture. Cheekbone fracture. Incisions all over the face, mainly the left. Slightly injured legs. The young woman herself noticed double vision when she opened her eyes, she had no sense of smell, and her teeth hurt. Fluid leakage from the nose.
Hospital stay from November 12th up to December 21st with rest and drug treatment. No surgery.
In January of the following year there were still double images. The sense of smell had not returned, and the loss of liquid occurred again. A referral was made to the neurosurgery department of the county hospital of Graz to Prof. Dr. H., who took care of the young woman. Again, drug treatment in in-patient treatment against the loss of fluid.
The accident victim, accompanied again and again by her boyfriend, who was not blamed for the accident, continued to struggle with pain and double vision. The material compensation for pain and suffering couldn’t begin to outweigh the situation.
Finally, at the end of March, a muscle was removed from the left temple to seal the internal head injuries in an operation to prevent the leakage of fluid. Afterwards the transfer to the Rehabilitation Clinic Stolzalpe to heal.
After a short stay, the accident victim felt and heard gurgling noises in the frontal sinus. The young woman was relocated to the Graz hospital once again. Decision: further operation by consulted experts. In the second surgery, a muscle was removed from the woman’s thigh to be inserted into the head area. Very deep below the frontal sinus area, a hole was discovered in the ‘ethmoid cell’, which could now finally be closed and sealed.
A distress of the physical and mental nature, not only for her, but also for her loved ones. That the woman was still so young helped the healing process. The double vision has remained to this very day when looking back over her shoulder, the sense of smell never came back, and to this day the dental problems are not quite over.
In May of the same year, the victim and her boyfriend became engaged. They married in September.
I struggled with myself for a long time whether I should record this story from 1966 and 1967. It is 100% authentic and touches me a lot. Its events make me weigh a lot – again and again – that I have to decide. It prompts me to be very foresighted when driving, and yet to remind myself over and over how quickly life can change – even through no fault of my own.
This November story is intended to support people who are going through suffering, but also to encourage others to pay more attention to the fallow man and to correctly assess the consequences of their own actions or inactions, such as vehicle lighting right now in this dangerous time. Not every accident of this kind ends well after all.
This accident welded my parents together very much,
and they were happily married for more than fifty years until my father’s death.